Das Schnarchen meiner Mitpilgerer machte mir weniger zu Schaffen als meine schmerzenden Beine und Füße, die nicht so recht wissen wollten, in welcher Position sie am besten liegen sollten. Auch das für Pilgerer typische Beinehochlegen, wofür sich die Herbergsdecken perfekt eigneten, führte zwar dazu, dass die betroffenen Gelenke etwas abschwollen, ich jedoch aufgrund der unbequemen Liegeposition kaum noch ein Auge zubekam. So etwas kannte ich bisher nur von langen Strecken mit dem Bike.
Was solls – heute Morgen war gegen 6 Uhr gemeinsames Kramen, Packen, Wühlen, Schnüren und Füße preparieren angesagt. Bevor wir um 6:30 Uhr zum Restaurant rüberstapften, wo wir am Vorabend unser Frühstück reservierten, wurde noch die übliche Ration Paracetamol, Ibuprofen etc. ausgetauscht.
Leider liess uns die Gastwirtin mit unserem Morgenmahl im Stich, so dass wir mit leeren Mägen in einen wundervollen Sonnenaufgang wanderten, den wir so zuvor noch nicht gesehen hatten.
Nach ca. 2 km erreichten wir die erste geöffnete Bar, wo wir auch auf andere Pilgerer stiessen, die dort zum Desayuno einkehrten. Nach einer kurzen Pause, in welcher wir unser Toast verspeisten und unseren Cafe con leche genossen, machten wir uns auf den Weg nach Mélide.
Auch heute war unser Weg durch ein ständiges Auf- und Ab sowie einer satten grünen Natur geprägt.
Nach rund 14 km erreichten wir Palas de Rei, wo wir uns in einer kleinen Kirche gleich 2 Stempel für unseren Pilgerausweis abholten.
Im Zentrum dieses kleinen netten Ortes, kamen wir genau an 3 Läden vorbei. Im Ersten besorgte sich Montse einen Regencape… im Zweiten ich mir einen Karabiner (für das Befestigen meiner Trinkflasche) und im Dritten entschloss ich mich, meine letzten Tage mit Hilfe von zwei Teleskopstöcken zu absolvieren.
In einer kleinen Bar kehrten wir für unsere Zwischenmahlzeit ein, bestehend aus diversen Bocadillos mit jamon y queso, tortilla, zumo de naranja, cafe con leche und … ich glaube, Ximo trank sogar ’nen Bier.
Das Wetter hatte sich bis ca. 4 km vor Mélide ganz gut gehalten. Als ein paar wenige dunkle Wolken sich in unsere Richtung schoben, verpackten sich die Anderen in ihre Regencaps …. und schauten mich erstaunt an, warum ich dies nicht auch tat. Ich vertraute auf meine Regenjacke und dachte an die letzten 40 min zu Laufen und meinte nur ganz trocken: „Ah, no va a llover“ – was soviel heissen sollte wie: „Ach, es wird auf den letzten Metern schon nicht mehr (gross) regnen.“
Ich sollte bis zum Ortseingang auch Recht behalten. Die kleinen wenigen Tropfen die vom Himmel fielen, hielten uns nicht davon ab, stehen zu bleiben und die Aussicht auf das historische Zentrum zu geniessen und ein paar Fotos zu machen. Ein kurzer Blick auf mein Handy (GPS) sagte uns, dass wir in rund 2 km unsere Herberge erreichen sollten.
Es regnete etwas stärker. Wir beschleunigten unser Tempo.
Es regnte noch stärker. Wir legten noch einen Schritt zu. Ich konnte Ximos Lächeln, der hinter mir lief, spüren. Es goss. Wir gaben alles. Es schüttete. Wir waren klatsch nass. Das Wasser kam uns auf der Strasse, die leicht bergauf ging, entgegengelaufen. Mir kamen Beschreibungen wie „reissende Bäche“ in den Sinn. Und dann mussten Ximo und ich, triefend nass, herzlich lachen und wiederholten meine Worte vor wenigen Minuten: „Ah, no va a llover!“.
Irgendwann erreichten wir sie, die Herberge, die erst seit 1 Jahr geöffnet und deshalb überall noch als „Nuevo“ ausgeschildert ist. Insgesamt hatten wir inzwischen ca. 29 km hinter uns.
Tropfnass standen wir im Flur, als man uns die wassergetränkten Jacken und Umhänge abnahm.
Wenig später bezogen wir unseren (fast) eignen Schlafraum, denn ausser uns 6 bzw. als noch Almudenas Freundin Noe zu uns stiess 7, schliefen nur noch zwei andere Pilgerer mit uns im Raum. Die übrigen Pilgerer waren auf die anderen Schlafräume (insgesamt 3 oder 4) verteilt.
Wir entledigten uns unserer durchnässten Sachen, nahmen eine Dusche, stopften unsere Wäsche in die Waschmaschine und versuchten unsere nassen Wanderschuhe mit Zeitungspapier zu trocknen.
Da es noch relativ früh war (14:30 Uhr), beschlossen wir ein gemeinsames Mittagessen einzunehmen und uns an der regionalen Spezialität „Pulpo“ zu laben. Und so endeten wir in einem super vollen, gut organisierten und geschmacklich grossartigem Pulporestaurant und liessen uns neben diesem auch noch pimientos de padrón, empanada con atún, patatas und….. Schweineohren bringen.
Zum Essen gab es jede Menge Wein, licor de hierba und …. Fotos! Zum Austausch der geschossenen Kunstwerke – denn von nun an wurde jedes Glas Alkohol und jede Mahlzeit festgehalten – gründeten wir eine Whatsappgruppe.
Nachdem wir reichlich gespeist und getrunken hatten, wurde etwas Obst für den folgenden Tag sowie Salben und Paracetamol für die schmerzenden Gliedmaßen besorgt, die Altstadt besichtigt und einfach nur ausgeruht. Oscar versuchte sein wasserdurchtränktes Handy reparieren zu lassen und Ximo traf ich nach unserer kleine Citytour doch tatsächlich mit Zigarre und Gintonic in einem Cafe um die Ecke. Ich gesellte mich auf einen Gintonic zu ihm, wir unterhielten uns nett, bevor ich im Anschluss schon etwas beschwippst in unsere Herberge wankte während Ximo sich mit Oscar zum Abendessen traf.
Meine Güte, was kann der Mann bloß alles essen!
Nachdem unsere getrockneten Sachen endlich gegen 22 Uhr bei uns eintrafen (der eine Herbergstrockner war aufgrund der Sinnflut am Nachmittag hoffnungslos überlastet, sodass unsere Klamotten zum Trocknen in eine Wäscherei gebracht wurden), kehrte auch bei uns langsam Ruhe ein.