10. Etappe Pedrouzo – Santiago de Compostela

Nach einer ziemlich kurzen Nacht erinnerten uns um 4:30 Uhr fünf Mobiltelefone (von zehn) daran, dass es an der Zeit ist aufzustehen, um rechtzeitig zur 12 Uhr Messe in Santiago zu sein. Ein wildes Gewühle und Gekrame begann – Stirnlampen, Bananen und Joghurts wurden für ein schnelles Frühstück aus den Taschen und Tüten gezottelt.

Ein letzter Check, ob auch alles eingepackt ist und die sieben Zwerge waren punkt 5 Uhr abmarschbereit.

22 km lagen vor uns.

Die ersten Kilometer führten uns durch einen dicht und hoch bewachsenen Wald. Diejenigen, die eine Stirnlampe trugen, verteilten sich und wiesen den anderen mit so sinnvollen Hinweisen wie „Vorsicht Wasserloch“, „Achtung Pilgerstock auf dem Pfad“… usw. den Weg. Man fühlte sich um 30 Jahre zurück an eine Nachtwanderung bei der Klassenfahrt erinnert.
Alle waren ziemlich aufgeregt. Zum einen, weil (endlich) eine lange Wanderstrecke sein Ende fand und die Cathedrale von Santiago in greifbare Nähe rückte, zum anderen, weil es unser letzter gemeinsamer Tag zusammen werden würde.

Und so wurde geredet, gealbert, gelacht und sich gegenseitig auf den Arm genommen.

Da wir, Dank unserer Zugpferde Oscar und Regine, ziemlich gut vorankamen, legten wir nach rund 10 km gegen 7:30 Uhr eine Frühstückspause ein, bei der schon das ein oder andere Bier gezischt wurde ;-). Zumindest von unserem Langstreckenpilger Ximo.

Unser Weg führte uns weiter bergauf und bergab, um den Flughafen Santiagos herum, begleitet von kleineren Regenschauern…. und jeder Menge „Selfis“ (vale chicos, una selfi….)

Die Zeit verging wie im Flug und so erreichten wir bereits gegen 9:00 Uhr Monte, von wo aus man einen beeindruckenden und atemberaubenden Blick über Santiago erhielt. Viele Tränen der Rührung seien wohl dort schon vergossen worden.
Wir freuten uns über die grandiose Aussicht, schossen so um die 20 Gruppenbilder und machten uns bergab auf die letzten 5 km in unsere Zielstadt.

Die Cathedrale erreichten wir gegen 10 Uhr.

Ein seltames Glücksgefühl machte sich breit. Die Stadt wurde förmlich überflutet von ankommenden Pilgerern und Strassenmusikanten.
Wir freuten uns wie kleine Kinder…. und hielten jeden Augenblick mit der Kamera fest. Füsse, stolze Gesichter, Rucksäcke, die Cathedrale von jeder Seite… Einzelfoto, Gruppenfoto, bekannte Pilgergesichter…. knips, knips, knips.

Um unsere Compostela zu erhalten, stellten wir uns gegen 11 Uhr in die Schlange mit ca. weiteren 200 Pilgerern… man hatte fast das Gefühl, dass man sich nach einem langem Etappenrennen seine Finisherurkunde abholte. Ich wette 80 % der Menschen sind aus allen anderen Gründen als religiösen den Weg gegangen.

Es wurde langsam knapp. Nur langsam bewegte sich die Schlange vorwärts und es ging bereits auf 12 Uhr zu.

Als wir dann endlich an der Reihe waren, mussten wir noch Fragen wie „Wann sind Sie gestartet?“, „Von wo aus sind Sie gestartet?“, „Wie, Sie sind wirklich in 10 Tagen 320 km zu Fuss gelaufen????“… usw. Aber: wir haben auch diese Etappe geschafft….

… bevor wir uns kurz vor 12 Uhr und damit dem Beginn der Pilgermesse, in die Schlange zur Abgabe unserer Rucksäcke stellen mussten….

Wir kamen also zu spät – die Messe war bereits voll im Gange. So verpassten wir zwar das Schwenken des Weihrauchkessels, bekamen aber noch genug Gesang und Spiritu Santis mit. Ruhe herrschte aufgrund der Massen, die sich in der ganzen Cathedrale verteilten und auch während der Messe durch die Gänge schoben, so oder so nicht. Und auch wir erkundeten irgendwann neugierig die einzelnen Heiligtümer, Gebeine und den heiligen Jakob.

Denn am Ende einer jeden Pilgerreise heisst es als Symbol des Ankommens diesen zu umarmen und ein Foto zu machen. Nur wissen davon die Aufseher leider nichts. Ich musste mich drei Mal in die Schlange stellen, bis es uns endlich gelang, auch von mir ein Bild mit Jakob zu erhaschen (und das klappte erst am Folgetag!)

Nachdem sich nun alle von uns dem Jakob in den Rücken geworfen haben – denn diesen kehrte er uns zu – verabschiedeten wir uns von ihm und traten wieder hinaus in Freie.

Der Hunger plagte uns.

Und so stapften wir in die nächste einladende Bar und begannen ein Festessen – bestehend aus verschiedenen Tapas (u.a. auch Jakobsmuscheln), Schweineohren und jeder Menge Wein und Licor de Hierba. Man waren wir laut!

   

Leicht angeduselt zogen wir noch etwas durch die Gassen, probierten Stücke von der Tarta de Santiago und tranken hier und da noch ein Schnäpschen.

Gegen irgendwann holten wir unsere Rucksäcke und machten uns erst einmal getrennt auf den Weg in unsere Unterkünfte. Endlich wieder alleine duschen und in einem richtigen Bett schlafen!!! Danke noch einmal an Massi, der das Zimmer für mich organisiert hat.

Gegen 6 Uhr kamen wir dann wieder zusammen – um noch etwas durch die Strassen zu schlendern, meine Schuhe in einer kleiner Zeremonie zu verabschieden …

… und um zu Abend zu essen.

Wir genossen es – auch wenn sich langsam etwas Wehmut breit machte.
Ximo verabschiedete sich als Erster, da er am nächsten Tag weiter nach Finisterre zog…. und auch wir machten uns gegen 11 Uhr auf den Weg in die Herbergen.

Wir haben an diesem letzten Tag viel zusammen gelacht und gefeiert!!!! Ein grosserartiges Ende einer erlebnisreichen Wanderung, auf der man viel über sich und seine Grenzen aber vor allem jede Menge nette Leute kennengelernt hat.

PS: Am Ende der Reise hatte ich fünf Namen erhalten – Maria, Andrea, Sandra, Heidi Merkel

9. Etappe Melide – Pedrouzo

Da für den ganzen Tag mehr oder weniger Regen angesagt war, es aber in den Morgenstunden noch halbwegs trocken sein sollte, wollte Regine am Liebsten schon um 6 Uhr los laufen. Alle anderen bevorzugten jedoch eher 6:30 Uhr. Und so machte Montse am Vorabend eine klare Ansage, die ins Deutsche übersetzt ungefähr Folgendes zum Ausdruck brachte: „6:30 Uhr abmarschbereit – jeder mit seinem Rucksack auf dem Rücken… und wer vorher noch frühstücken oder einen Kaffee trinken möchte, muss eher aufstehen. Wer 6:30 Uhr nicht fertig ist, bleibt zurück!!!!“

6:10 Uhr standen Ximo, Regine und ich fix und fertig im Flur der Herberge. Da alle anderen gerade erst dabei waren ihre Augen zu öffnen und Ximo und ich eher ein kontinuierliches Lauftempo mit dafür kürzeren Pausen bevorzugten während die anderen zwischendurch fast schon ein Nordicwalking-Tempo an den Tag legten, beschlossen wir schon einmal vor zu laufen. Sicherlich würden uns die anderen bald einholen.

Es war noch ziemlich dunkel draussen, als ich in den Strassen von Mélide meine 2 Bananen und 2 Pfirsiche zum Frühstück verschlang. Dafür zwitscherten die Vögel, welche die langsam aufgehende Sonne begrüßten, um so lauter.

Ich startete mit meinen Laufschuhen! Meine Wanderstiefel hatte ich jeweils an den Seiten meines Rucksacks fest verschnürt.
Aber die Freude über das neue Laufgefühl sollte nicht lange anhalten. Und mit dem nach rund 5 km leicht einsetzenden Regen, wechselte ich notgedrungen in einem auf dem Weg liegenden Cafe auch mein Schuhwerk. Zusätzlich stülpten Ximo und ich unsere Wanderponchos über die Rucksäcke.

Auch die vorletzte Etappe des Caminos führte uns durch eine hügelige und satt grüne Landschaft. Durch unser gleichbleibendes aber strammes Lauftempo -welches uns von Ximo’s Handy immer wieder durch laute Ansagen des absolvierten Kilometerstandes bestätigt wurde- kamen wir zügig voran.

Und so kehrten wir pünktlich nach rund 10 km in eine Bar zum Frühstücken ein. Zwei Cafe con leche, un zumo de naranja und ein Twix waren unsere erste Zwischenmahlzeit.
Und als wir 20 min später wieder ins Freie traten, stiessen wir auch prompt mit unseren „Rennt den Camino Compañeros“ zusammen.

Ein Stück rannten wir wieder gemeinsam, bevor Oscar, Regine, Almudena, Noe und die hinterherhächelnde Montse in Arzùa ihre erste Pause einlegten.

Ximo und ich liefen weiter und kehrten pünktlich zum einsetzenden Regen nach 20 km in eine Bar ein. Hier teilten wir uns zwei regional belegte Bocadillos, tranken einen Café, unterhielten uns nett mit zwei älteren Damen aus Deutschland die vom Camino del norte auf den Camino frances stiessen und…. lüften unsere Botten. Als der Regen wieder nachliess, brachen wir zu unserem letzten Teilstück für heute auf.

Dieser führte uns durch prächtige Eukalyptuswälder.

Nach 33 km kamen wir gegen 14 Uhr in unser Miniherberge – der Schlafsaal hatte gerade einmal 8 Doppelstockbetten und Duschen gab es ganze 4 – an. Keine 10 min später kehrten auch die anderen ein, sodass die Gruppe mit den 7 Zwergen wieder vollständig war.

Nach einer Dusche und der üblichen Wundversorgung sämtlicher Blasen, Schwellungen und sonstigen Wunden, stillten wir unseren ersten kleinen Hunger mit Tortilla und Brot in der benachbarten Bar.

Gegen 16 Uhr kam eine völlig aufgelöste und verweinte Amerikanerin in unserer Herberge an, die ich bereits schon auf dem Weg nach Ponferrada getroffen hatte. Es stellte sich heraus, dass sie aufgrund ihres schnellen Tempos (sie brauchte für den ganzen Camino gerade mal 23/25 Tage) und den wunden Knöcheln für 4 km ein Taxi nehmen musste und nun ein schlechtes Gewissen hatte, nicht den ganzen Weg gelaufen zu sein. Ein paar aufmunternde Worte von Regine, die ihr versprach, in Santiago de Compostela eine Extrarunde mit ihr zu drehen und unserem Versprechen, sie am nächsten Morgen in unserer Gruppe pünktlich bis zur 12 Uhr Messe zum Ziel zu „treiben“, munterte sie etwas auf.

Bevor wir gegen 18 Uhr zur Messe aufbrachen, haben Montse und ich uns eine Fussmassage gegönnt. Schade, dass wir die in fast jeder Pilgerherberge angebotene Maschine nicht schon früher genutzt haben.

Die Pilgermesse, der nur ein Teil unserer Gruppe beiwohnte, war anstrengend. Das ständige Hinstellen und wieder Hinsetzen begleitet mit den Worten…. “ sochsuah sjsjisju konasua Spiritu Santi“ wollte meinen müden Füßen gar nicht gefallen. Immerhin wurde am Ende für alle Pilgerer ein letztes Gebet gesprochen und der Herr darum gebeten, ihnen auf ihrer letzten Etappe Gesundheit und Kraft zu geben.

Im Supermarkt am Ende des Ortes besorgten wir uns im Anschluss noch ein 5 Uhr Frühstück – bestehend aus Bananen, Trinkjoghurt und Tiramisukuchen – wobei wir die Bananen zunächst im Supermarkt liessen und erst bei Ankunft in der Herberge feststellten, dass uns diese der Einpacker an der Kasse nicht in die Tüte getan hatte. Und so joggten wir erneut zum Supermarkt um die fehlende Frucht einzusammeln und um dann auf dem Rückweg von einem kräftigen Regenschauer eingeholt zu werden ;-). Immerhin gab es einen großartigen Regenbogen.

Gegen 20 Uhr sassen wir noch einmal zusammen um uns bei einem riesen Teller Spagetti und Salat noch Energie für den letzten bevorstehenden Tag einzuflössen.

Als wir um 21:30 Uhr dann unsere Sachen für den nächsten Tag bereit legten und ich mein Rucksackgewicht für die letzte Etappe noch einmal optimieren wollte, entdeckte ich doch tatsächlich in einer Bodenfalte noch eine 300 gr schwere Salami, die ich für den Notfall in Leon besorgt hatte.
Eine Pilgersalami – wie wir sie dann alle mit Tränen vor Lachen in den Augen – tauften.