8. Etappe Hospital da Cruz – Melide

Das Schnarchen meiner Mitpilgerer machte mir weniger zu Schaffen als meine schmerzenden Beine und Füße, die nicht so recht wissen wollten, in welcher Position sie am besten liegen sollten. Auch das für Pilgerer typische Beinehochlegen, wofür sich die Herbergsdecken perfekt eigneten, führte zwar dazu, dass die betroffenen Gelenke etwas abschwollen, ich jedoch aufgrund der unbequemen Liegeposition kaum noch ein Auge zubekam. So etwas kannte ich bisher nur von langen Strecken mit dem Bike.

Was solls – heute Morgen war gegen 6 Uhr gemeinsames Kramen, Packen, Wühlen, Schnüren und Füße preparieren angesagt. Bevor wir um 6:30 Uhr zum Restaurant rüberstapften, wo wir am Vorabend unser Frühstück reservierten, wurde noch die übliche Ration Paracetamol, Ibuprofen etc. ausgetauscht.
Leider liess uns die Gastwirtin mit unserem Morgenmahl im Stich, so dass wir mit leeren Mägen in einen wundervollen Sonnenaufgang wanderten, den wir so zuvor noch nicht gesehen hatten.

Nach ca. 2 km erreichten wir die erste geöffnete Bar, wo wir auch auf andere Pilgerer stiessen, die dort zum Desayuno einkehrten. Nach einer kurzen Pause, in welcher wir unser Toast verspeisten und unseren Cafe con leche genossen, machten wir uns auf den Weg nach Mélide.

Auch heute war unser Weg durch ein ständiges Auf- und Ab sowie einer satten grünen Natur geprägt.

Nach rund 14 km erreichten wir Palas de Rei, wo wir uns in einer kleinen Kirche gleich 2 Stempel für unseren Pilgerausweis abholten.

 

 

 

 

 

Im Zentrum dieses kleinen netten Ortes, kamen wir genau an 3 Läden vorbei. Im Ersten besorgte sich Montse einen Regencape… im Zweiten ich mir einen Karabiner (für das Befestigen meiner Trinkflasche) und im Dritten entschloss ich mich, meine letzten Tage mit Hilfe von zwei Teleskopstöcken zu absolvieren.

In einer kleinen Bar kehrten wir für unsere Zwischenmahlzeit ein, bestehend aus diversen Bocadillos mit jamon y queso, tortilla, zumo de naranja, cafe con leche und … ich glaube, Ximo trank sogar ’nen Bier.

Das Wetter hatte sich bis ca. 4 km vor Mélide ganz gut gehalten. Als ein paar wenige dunkle Wolken sich in unsere Richtung schoben, verpackten sich die Anderen in ihre Regencaps …. und schauten mich erstaunt an, warum ich dies nicht auch tat. Ich vertraute auf meine Regenjacke und dachte an die letzten 40 min zu Laufen und meinte nur ganz trocken: „Ah, no va a llover“ – was soviel heissen sollte wie: „Ach, es wird auf den letzten Metern schon nicht mehr (gross) regnen.“

Ich sollte bis zum Ortseingang auch Recht behalten. Die kleinen wenigen Tropfen die vom Himmel fielen, hielten uns nicht davon ab, stehen zu bleiben und die Aussicht auf das historische Zentrum zu geniessen und ein paar Fotos zu machen. Ein kurzer Blick auf mein Handy (GPS) sagte uns, dass wir in rund 2 km unsere Herberge erreichen sollten.

Es regnete etwas stärker. Wir beschleunigten unser Tempo.

Es regnte noch stärker. Wir legten noch einen Schritt zu. Ich konnte Ximos Lächeln, der hinter mir lief, spüren. Es goss. Wir gaben alles. Es schüttete. Wir waren klatsch nass. Das Wasser kam uns auf der Strasse, die leicht bergauf ging, entgegengelaufen. Mir kamen Beschreibungen wie „reissende Bäche“ in den Sinn. Und dann mussten Ximo und ich, triefend nass, herzlich lachen und wiederholten meine Worte vor wenigen Minuten: „Ah, no va a llover!“.

Irgendwann erreichten wir sie, die Herberge, die erst seit 1 Jahr geöffnet und deshalb überall noch als „Nuevo“ ausgeschildert ist. Insgesamt hatten wir inzwischen ca. 29 km hinter uns.

Tropfnass standen wir im Flur, als man uns die wassergetränkten Jacken und Umhänge abnahm.

Wenig später bezogen wir unseren (fast) eignen Schlafraum, denn ausser uns 6 bzw. als noch Almudenas Freundin Noe zu uns stiess 7, schliefen nur noch zwei andere Pilgerer mit uns im Raum. Die übrigen Pilgerer waren auf die anderen Schlafräume (insgesamt 3 oder 4) verteilt.

Wir entledigten uns unserer durchnässten Sachen, nahmen eine Dusche, stopften unsere Wäsche in die Waschmaschine und versuchten unsere nassen Wanderschuhe mit Zeitungspapier zu trocknen.

Da es noch relativ früh war (14:30 Uhr), beschlossen wir ein gemeinsames Mittagessen einzunehmen und uns an der regionalen Spezialität „Pulpo“ zu laben. Und so endeten wir in einem super vollen, gut organisierten und geschmacklich grossartigem Pulporestaurant und liessen uns neben diesem auch noch pimientos de padrón, empanada con atún, patatas und….. Schweineohren bringen.

Zum Essen gab es jede Menge Wein, licor de hierba und …. Fotos! Zum Austausch der geschossenen Kunstwerke – denn von nun an wurde jedes Glas Alkohol und jede Mahlzeit festgehalten – gründeten wir eine Whatsappgruppe.

Nachdem wir reichlich gespeist und getrunken hatten, wurde etwas Obst für den folgenden Tag sowie Salben und Paracetamol für die schmerzenden Gliedmaßen besorgt, die Altstadt besichtigt und einfach nur ausgeruht. Oscar versuchte sein wasserdurchtränktes Handy reparieren zu lassen und Ximo traf ich nach unserer kleine Citytour doch tatsächlich mit Zigarre und Gintonic in einem Cafe um die Ecke. Ich gesellte mich auf einen Gintonic zu ihm, wir unterhielten uns nett, bevor ich im Anschluss schon etwas beschwippst in unsere Herberge wankte während Ximo sich mit Oscar zum Abendessen traf.
Meine Güte, was kann der Mann bloß alles essen!

Nachdem unsere getrockneten Sachen endlich gegen 22 Uhr bei uns eintrafen (der eine Herbergstrockner war aufgrund der Sinnflut am Nachmittag hoffnungslos überlastet, sodass unsere Klamotten zum Trocknen in eine Wäscherei gebracht wurden), kehrte auch bei uns langsam Ruhe ein.

 

 

 

7. Etappe Barbadelo – Hospital da Cruz

Nach einer ziemlich kalten Nacht in meinem Zimmer auf dem Ferienhof, bin ich wie die vergangenen Tage bereits um 5:30 Uhr aufgestanden. Sachen packen – Zähne putzen – Füsse in die immer schwerer werdenden Schuhe verpacken. 6:10 Uhr Abschmarsch! 800 m durch den dunklen Wald. Dort, vor dem Ortseingangsschild von Rente, habe ich mein für 3 EUR am Vorabend zubereitetes Brot mit Jamon Serrano verspeist und den Hunden im Nachbarort beim gemeinsamen Morgenjaulen gelauscht.

Gegen 7:00 Uhr trafen Montse und Regine ein und die 7. Etappe konnte beginnen. Noch war ich mir unsicher, ob ich wie die anderen beiden in Hospital da Cruz (ca. 30 km) übernachte oder weiter bis nach Ligonde (ca. 35 km) laufe – mein eigentliches Etappenziel um Samstagabend Santiago erreichen zu können.

Nach 2 km und rund 20 Fotos holte uns bereits Oscar ein (45 – aus León – arbeitet bei der Guardia Civil und wir kannten ihn bereits von der Herberge in Fonfria).

Da er auch keine Lust hatte den Tag alleine zu verbringen, reduzierte er sein Tempo ein wenig und schloss sich uns an.

Der Weg war wie jeden Tag durch ein ständiges Auf und Ab geprägt – führte aber durch eine traumhafte Natur und fast schon tropisch aussehende Wälder. Nach ca. 10 km kehrten wir in eine kleine Bar, die am Camino lag, ein und tranken unseren ersten Cafe con leche und zumo de naranja.

 

Nach weiteren ca. 10 km (inzwischen 94 km vor Santiago) erreichten wir Portomarin über eine riesige Brücke. Von hier aus hatte man eine fantastische Aussicht auf den Rio Miño.

Nachdem wir uns mit frischen Geld aus dem Bankautomaten versorgt haben, stärkten wir uns selbst mit einem HAMBURGESA de la Casa 😉

Und leckeren frischen Jakobsmuscheln.

 

 

 

Natürlich nicht ohne unsere Botten auszuziehen, was bei jeder längeren Pause müde und verschwitzte Pilgerfüsse erfrischt.

Gerade, als wir uns frisch gestärkt auf die letzten 10 km machen wollten, holte uns plötzlich Ximo (55 – aus der Nähe von Valencia – Vorruhestand und langweilt sich zu Hause) ein. Auch ihn kannten wir schon von unserem Etappenort Fonfria und dem gemeinsamen Pilgeressen. Er hatte auf dem Weg von Sarria (dort ist er heute Morgen gestartet) Almudena aufgesammelt (31 – verheiratet und arbeitslos – aus der Nähe von Madrid bzw. früher Malaga), die dort ihren Pilgerweg begann.

So zogen wir also laut schwatzend (leise können die Spanier auch gar nicht) zu 6t weiter. Wie jeden Tag, nahmen die Schuhe auf den letzten 10 km stark an Gewicht zu und auch die Steine, die uns jemand während unser Pause im Rucksack versteckt haben muss, wurden immer und immer schwerer…

Der Weg zeigte sich bis Hospital da Cruz auch nicht unbedingt von seiner schönsten Seite, da die letzten 5 km eine Landstrasse links von uns war. Da hat der Architekt des Caminos nicht wirklich gut mitgedacht 😉

Nachdem ich das Gefühl hatte, dass meine Füsse eher über dem Boden schleiften und ich schon den 4 Liter Wasser aufgrund der warem Temperaturen in mich reinschüttete, war meine Entscheidung gefällt: Ich übernachte mit den anderen in Hospital da Cruz – jedes Bett war mir nun recht – und sei es noch eine so furchtbare Herberge – nur keinen Meter mehr laufen und endlich aus den SCHUHEN raus!!!!

Wir trafen in dem Ort, der aus einer staatlichen Herberge, einem Restaurant und einem Lagerplatz von ca. 50 Traktoren bestand, gegen 15 Uhr ein. Neben uns 6 schliefen noch drei weitere Pilgerer in dem mit Doppelstockbetten bestückten Schlafsaal – wir waren also mehr oder weniger unter uns.

Und nun lernte ich meine erste richtige Pilgernacht kennen. Beim „Einchecken“ erhielt ich ein Päckchen mit Einweg Bettlaken und Kopfkissenbezug (erinnert eher an Mullbinden aus dem Krankenhaus). Die Drecksbotten waren, wie man das auch von Hüttenübernachtungen in den Bergen kennt, im Eingangsbereich auszuziehen und in dem dafür vorgesehenen Regal zu deponieren.

Dann ging es ans Matratze beziehen (man musste aufpassen, dass der dünne Tüll beim Spannen nicht gleich reisst) – Schlafsack ausrollen – Duschzeug und frische Wäsche rauskramen usw.

Und ja, auch wir sammelten unsere gemeinsame Schmutzwäsche und teilten uns die Waschmaschine und Trockner. NIE WIEDER HANDWÄSCHE 😉

Nach einer schwimmbadähnlichen Dusche gingen wir gemeinsam die ca. 20 m zum nebenan gelegenen Restaurant und tranken erst einmal eine Cafe und einen „Menta“ (Pfefferminztee)…. und dann ein Licor de Hierba („Orujo ist ein Tresterbrand mit 37 bis 50 Volumenprozent Alkoholgehalt, der hauptsächlich in der nordspanischen Region Galicien hergestellt wird.“).

Bevor wir gegen 18 Uhr/ 19 Uhr ein Menu del Dia bestellten, löste sich unsere Gruppe etwas auf und jeder machte, wozu er gerade Lust hatte (lesen, Beine hochlegen, Wäsche zusammenlegen, Blog schreiben, schlafen, usw.).

Der Abend endete mit viel Gelächter, schmutzigen spanischen Wörtern, ein paar Gläsern des köstlichen Likörs, Wein und …. einem Schnarchkonzert.

Da sich Oscar unsere Namen leider nicht merken konnte, haben wir uns einfache Fantasienamen ausgedacht – so erhielt ich meinen zweiten Vornamen, der mich auf dem restlichen Weg begleiten sollte: Maria. Oscar selbst tauften wir daraufhin Alejandro.

Morgen soll es regnen!